Glück ist, was vorne an deine Tür klopft, …

Glück ist, was vorne an deine Tür klopft, …

31. August 2020 0 Von Helmut Wittmann

… während du hinten im Garten nach vierblättrigem Klee suchst.

Illustration: Agnes Ofner – aus dem Band »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis«, Tyrolia Verlag.

 

Gerade in Zeiten, die herausfordernd sind, stellt sich die Frage nach dem Glück im Leben umso mehr. Erstaunlich viele Menschen stellten im Zuge der Corona-Maßnahmen fest, dass zwar einerseits das eigene Leben von heute auf morgen radikal umgestellt wurde. Verunsicherung machte sich breit. Andererseits brachte diese Umstellung aber auch viele glückliche Fügungen mit sich.
Plötzlich war wieder Zeit für Dinge und Vorhaben, für die vorher keine Zeit mehr gewesen war.

Mag sein, dass auch Zeit war auf das Klopfen des Glücks an die Haustür zu hören.

Der Spruch klebt übrigens bei uns an der Tür vom stillen Örtchen. Da ist Zeit und Muße ihn immer wieder zu betrachten und wirken zu lassen.

Glück hat eben auch etwas mit Wahrnehmung zu tun. Zum einen heißt es sich zuerst einmal Klarheit zu verschaffen, was denn das höchstpersönliche Glück überhaupt ausmacht. Das braucht aber seine Zeit. Und die gilt es sich zu nehmen.

Eine Geschichte, die mit faszinierender Genauigkeit auf das Auf und Ab des Lebens eingeht, kommt aus China, genauer aus der taoistischen Tradition:

Ein Bauer wird von allen für seinen weißen Schimmel bewundert. Sogar am kaiserlichen Hof ist die Rede davon. Ein Bote bietet dem Bauern deshalb im Namen des Kaisers viel Geld für das Pferd. »Was für ein Glück! Damit hast du ausgesorgt.«, meinen die Nachbarn. »Glück oder Unglück, wer weiß!«, sagt der Bauer und lehnt das Angebot ab.

Da schütteln die anderen vor Unverständnis nur die Köpfe. – Bald darauf ist der Schimmel über Nacht spurlos von der Weide verschwunden. »Das hast du davon.«, sagen die Nachbarn, »Jetzt hast du nichts – weder Schimmel, noch Geld.« – »Glück oder Unglück, wer weiß!«, meint der Bauer wieder. – Ein paar Tage später kommt der Schimmel zurück – und bringt sieben wilde Stuten mit. – »Was für ein Glück!«, rufen die Nachbarn. »Glück oder Unglück, wer weiß!«, meint der Bauer wieder. – Die Nachbarn schütteln nur ungläubig den Kopf: »Also wenn das kein Glück ist!«

Das Wechselspiel des Lebens geht aber weiter. Der einzige Sohn des Bauern reitet die Stuten zu. Er wird aber abgeworfen und bricht sich dabei alle zwei Füße. »Was für ein Unglück!«, rufen die Nachbarn. »Glück oder Unglück, wer weiß!« meint der Bauer. Schließlich kommt ein Bote ins Dorf. Ein Krieg sei ausgebrochen. Alle wehrfähigen jungen Männer müssen einrücken, nur der Sohn vom Bauern nicht. Er hat ja gebrochene Füße. … »Was für ein Glück für deinen Sohn und dich.«, sagen die Nachbarn.

Schlussendlich stellt der Bauer stellt ihnen gegenüber fest: »Ihr schaut das Leben immer wie durch ein Schlüsselloch an. Sagen wir doch einfach: Eure Söhne müssen einrücken, der meine nicht. Ob das ein Glück ist oder ein Unglück, das werden wir alle noch sehen.«

Nachzulesen ist die ganze Geschichte ausführlich hier im Blog – erzählt von mir in Mundart und in Englisch unter steady.

Natürlich fährt der Bauer mit seiner Art das Ganze zu sehen und gelassen zu handeln sehr viel besser, als jemand der/die ständig auf der emotionalen Achterbahn unterwegs ist.
Die alpenländische Ergänzung dazu ist das Tiroler Märchen »Die Wette«*. Da agiert der Bauer wie der Grimmsche »Hans im Glück«. Er handelt intuitiv, wie es scheint ohne Sinn und Verstand – und macht genau deshalb alles richtig.

So erstrebenswert die Weite des Denkens und diese innere Ruhe auch sind, einfach zu erreichen ist diese Haltung dem Leben gegenüber nicht. Dazu braucht es viel an innerer Reife und Stärke.

Ist das aber geschafft, dann stellt sich die Frage: Wohin soll die Reise denn gehen?

Viele Geschichten, die z. B. die »Vom Glücksvogel«, erzählen davon wie wichtig es ist,  genau zu klären was und wohin man will, bevor man sich etwas wünscht. Die Gefahr sich zur »verwünschen« ist groß. Und auch davon erzählt eine Fülle von Überlieferungen: Von Verwünschungen und der Herausforderung sie wieder aufzulösen.

Das ist ja das Schöne an Märchen: Sie geben auf die großen Fragen des Lebens keine fertigen Antworten. Sie liefern aber jede Menge Anregungen für mögliche Lösungen.

Und so bringt‘s im Band »Das Geschenk der zwölf Monate«** das Märchen »Da lachte die Fee« auf den Punkt: Eine Fee ist bereit einem armen Bauern einen Wunsch zu erfüllen. Da stellt sich die Frage: Was soll er sich wünschen?  … Reichtum? Gesundheit? Wohlstand? Das will gut überlegt sein.

Der grandiose Münchner Dichter und Philosoph Eugen Roth reimte einmal:
»Man liest zwar deutlich überall: Was tun bei einem Unglücksfall? Doch ahnungslos ist meist die Welt, wie sie beim Glücksfall sich verhält!«*

Wie schön also, wenn man eine Ahnung hat vom eigenen Glück.
Ein Tipp: In einem finnischen Märchen meint das Glück zur ratlosen Heldin: »Tu einfach das, was ich kann!«
Na, dann … .

 

*nachzulesen in: Von Drachenfrau und Zauberbaum, Das große österreichische Märchenbuch,  Tyrolia Verlag,

**nachzulesen in: Das Geschenk der zwölf Monate, Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis,  Tyrolia Verlag,

***aus »Von Mensch zu Mensch«, Eugen Roth, Hanser Verlag