Vom Wunder der Heiligen Nacht

Vom Wunder der Heiligen Nacht

23. Dezember 2018 2 Von Helmut Wittmann

 

Das Foto mit dem Fingerzeig ist eine »Nachtaufnahme« der selbstgebauten Almtaler Landschaftskrippe von Mary und Martin Hageneder. Die Krippe kann gerne nach Voranmeldung unter 07615-2906 besichtigt werden.

 
Und das ist für eine der schönsten Legenden zur Heiligen Nacht. Nachzulesen ist sie auch im Band »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis« – mit Illustrationen von Agnes Ofner:
 

In der Nacht, in der das göttliche Kind das Licht der Welt erblickte, war es kalt, bitter kalt. Es heißt, das neugeborene Jesuskind zitterte und bebte wie ein kleines nacktes Vögelchen. Die Gottesmutter Maria konnte es gar nicht genug wärmen. Ihre Hände waren ja auch kalt. So steckte sie sie in das Brusttuch und unter die Achseln, um sie ein klein wenig zu wärmen.

Josef konnte das nicht mitansehen. Gleich schnappte er seinen Kapuzenmantel und lief los: Er musste etwas besorgen, womit sie sich wärmen konnten. Sie brauchten Feuer!

 

Jetzt aber, mitten in der Nacht, machte in Bethlehem dem fremden Mann draußen vor dem Tor kein Mensch auf. Da konnte er klopfen und rufen was er wollte.

Draußen am Feld sah Josef weit weg ein Licht. Das mussten Hirten sein, die rund um ein Feuer lagerten. Also nichts wie dorthin. Kaum aber, dass er in die Nähe der Herde kam, witterten ihn die Hirtenhunde. Die waren so groß wie Kälber und dazu da, die Herde zu beschützen. Gleich sprangen sie auf und stürmten dem Fremden entgegen um ihn zu verjagen.

Die Hirten sahen im Mondschein nur die Umrisse einer Gestalt. Gleich wer es war: Der hatte hier bei der Herde nichts verloren. Die Hunde würden ihn schon vertreiben.

Illustration: Agnes Ofner – aus »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis«

Doch es war eigenartig: So sehr die Hunde auch bellen wollten, sie brachten keinen Ton heraus. Im Gegenteil: Schließlich tänzelten sie freundlich um den Fremden herum und wedelten mit den Schwänzen. Und der Fremde? – Der ging einfach weiter. Wegen der Kälte lagen die Schafe dicht an dicht. Da war kein Weg dazwischen. Der Fremde überlegte nicht lange. Er ging einfach über die Schafe drüber, schritt auf ihnen dahin wie über einen Teppich. Sonderbar! – Die Hirten rieben sich verwundert die Augen. Was wollte der Mann? – Einer der Hirten war ein besonders grobschlächtiger Kerl. Das Leben war hart zu ihm gewesen und er war dadurch bitter geworden. Einer wie er wollte seine Ruhe. Also fort mit dem Fremden! Gleich packte er den Hirtenstab und schleuderte ihn dem Fremden entgegen. Der Stab flog genau auf Josef zu – und machte vor ihm einen Bogen.

Jetzt staunten die Hirten noch mehr. Josef aber ging unbeirrt weiter bis er vor den Hirten stand. »Was willst du?«, fragte der, der den Stab geworfen hatte, unwirsch.

»Ich bitte euch: Gebt mir ein wenig von eurem Feuer! Etwas Glut genügt. Meine Frau hat entbunden. Sie und das Kind sind vor lauter Kälte am Erfrieren.«

»Glut will er!«, lachte einer der Hirten. »Und womit willst du sie tragen?«, fragte ein Anderer höhnisch. »Da hinein«, sagte Josef und hielt ihnen die Kapuze von seinem Rock hin. Da lachten die Hirten als ob Tontöpfe zersprungen wären. »Na dann«, rief einer, »nimm dir!«

 

Illustration: Agnes Ofner – aus »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis«

Josef ließ sich das nicht zweimal sagen und griff gleich zu. Mit bloßen Händen schaufelte er Glutstücke in die Kapuze als ob es Erdäpfel wären.

Das Lachen erstarb. Fassungslos schauten die Hirten zu bei dem, was da vor ihren Augen geschah.

»Jetzt sag einmal«, meinte einer, »was ist das für eine Nacht? – Ja, was ist das für eine Nacht, in der dir unsere Hunde, die doch sonst so wild und unbändig sind, nichts tun? Und was ist das für eine Nacht, in der die Schafe zulassen, dass du auf ihnen gehst wie auf einem Teppich? Und was ist das für eine Nacht, in der der Hirtenstab, der genau auf dich zufliegt, vor dir einen Bogen macht? Und was ist das für eine Nacht, wo dich nicht einmal das Feuer verbrennt? Ja, wo es sogar deine Kapuze verschont?«

»Was soll ich euch sagen, wenn ihr es nicht seht?«, sagte Josef bedächtig. Jetzt waren die Hirten umso mehr verwundert. Was meinte der Fremde denn damit?

Josef aber machte sich mit der Kapuze voller Glut wieder auf den Rückweg.

Wo wollte er denn hin? Neugierig zogen die Hirten hinter ihm her. Die Herde war in der Obhut der Hunde. Da fehlte nichts.

So kam Josef mit den Hirten im Gefolge wieder zum Stall. Bald flackerte dort ein munteres Feuer.

In seinem lichten Schein sahen die Hirten, was da war. Eine Frau hatte in dem unwirtlichen Stall ein Kind geboren. Das lag nackt und bloß in einer Krippe am Stroh. Der Anblick war armselig. Der rührte selbst das Herz des Hirten, der gar so verbittert war. Er griff in die Tasche, die er umgehängt hatte, und nestelte ein Lammfell heraus. »Da nimm!«, sagte er zu Maria. »Damit das Kind nicht erfriert!«

Auch die anderen suchten und kramten nach etwas, was sie geben konnten. Maria schaute den Hirten dankbar an, dann auch die anderen, und lachte. »Ich danke euch!«, sagte sie. Ihre Augen strahlten. Und in diesem Moment geschah etwas, mit dem sie alle nie und nimmer gerechnet hatten.

Als die Gottesmutter die Hirten anlachte, da ging einem jeden das Herz auf. Der Stall, der gerade noch so abweisend, kalt und dreckig gewesen war, glänzte in überirdischer Pracht. Engel waren da zu sehen, die sangen laut und priesen Gott.

»Hosianna!«, sangen sie, »Christus, der Heiland der Welt ist geboren! Gelobt sei Gott im Himmel, und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!«

Jetzt verstanden die Hirten, was Josef gemeint hatte als er sagte: »Was soll ich euch sagen, wenn ihr es nicht seht!«

Weil sie sich erbarmt hatten, weil sie etwas gegeben und in der Not geholfen hatten, drum waren ihnen ihre Herzen aufgegangen. Jetzt sahen sie viel mehr, als ihre Augen je sehen konnten.

Es heißt: Mit den Augen sehen wir den lichten Schein der Welt. Die wirklich wichtigen Dinge aber, die unsere Welt im Innersten zusammenhalten, die können wir nur mit dem Herzen erkennen.