Kiekerikie, Christus ist hier!
Eine Weihnachtsgeschichte mit Vorgeschichte:
Letzte Woche kam ein Anruf von den Oberösterreichischen Nachrichten: Eine Legende für die Weihnachtsausgabe am 24. Dezember wäre schön. Mein Vorschlag: Die steirische Überlieferung »Kiekerikie, kiekerikie! Christus ist hier!« aus unserem Band »Das Geschenk der zwölf Monate« bietet sich an.
Gesagt, gemailt.
Rückmeldung von den OÖN: Ja, wunderbar, aber viel zu kurz! – Meine Überlegung: Da ist mir doch in einer alten Sammlung aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die Legende »Vom Johanniskäfer« untergekommen. Die würde die steirische Legende perfekt ergänzen.
Rückmeldung der OÖN: »Na, dann, … bitte mailen!«
Ja, aber um die Geschichte niederzuschreiben, vor allem aber um sie druckreif auszuformulieren, fehlt mir schlicht die Zeit. Deshalb mein Vorschlag: Ich erzähle sie in – österreichischem – Schriftdeutsch, damit sie leicht abgetippt werden kann, in mein MacBook, und maile sie als mp3 zu.Rückmeldung der OÖN: Perfekt!
Gesagt, erzählt, gemailt.
Einen Tag drauf der Anruf von den OÖN: Die Begeisterung war beim Abtippen groß. Dürften wir die Geschichte mit QR-Code als mp3 ins Netz stellen? – Leichte Zweifel bei mir: Aber das ist eine Arbeitsaufnahme – nur für die Redaktion gedacht, zum Abtippen. Da sind bestimmt ein paar Unsauberheiten drin, Versprecher, Kracher. – Nein, tönt‘s von den OÖN, die Qualität passt – und persönlich erzählt, das hat was. – Also gut, lenke ich ein, wenn‘s für euch wirklich passt, dann geht das für mich in Ordnung.
Und so gibt es diese Geschichte jetzt in der Ausgabe der OÖN vom 24. Dezember 2020 sowie hier im Anhang zu lesen – und – mit dem Link im Anschluß an die Geschichte auch zu hören.
Die herrlichen Illustrationen hat Agnes Ofner gezeichnet. Sie stammen auch aus dem Band »Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis«, erschienen bei Tyrolia.
Wår‘s a so, oder wår‘s net a so, … in diesem Fall:
War es so oder war es nicht so, und wäre es nicht so gewesen, dann könnte ich es nicht so erzählen:
Da ist in der Heiligen Nacht im Stall zu Bethlehem hoch droben im Gebälk ein kleiner unscheinbarer Käfer gesessen, der hat seinen Augen nicht getraut: Ja was passiert denn da im Stall? Da ist ein Kind geboren worden, und da sind Engel. Und die jubeln und singen: „Hosianna in der Höh’!“ Was ist da nur geschehen, was hat das zu bedeuten?
Wie sich der kleine Käfer so verwundert umgeschaut hat, da hat er draußen auf dem Feld einen leuchtenden Engel gesehen, der hat den Hirten erklärt, was denn da passiert ist und hat ihnen die frohe Botschaft verkündet. Da ist der kleine Käfer neugierig geworden. Das wollte er genau wissen, und er ist hingeflogen. Aber in der finsteren Nacht war der kleine Käfer kaum zu sehen, er ist herumgeflogen um den Engel, um genau zuzuhören, hat gesummt und gebrummt und gesagt: „Erzähl’ mir das alles noch einmal genauer, haarklein!“
Der Engel hat den Käfer nur gehört und das feine Stimmchen wahrgenommen. „Warte“, hat er gesagt, „setz’ dich auf meine Hand!“ Das hat der Käfer gemacht, und dann hat der Engel in seine Haare gegriffen und eine goldene Locke rund um den Käfer gewickelt. Im nächsten Moment hat der Käfer zu leuchten angefangen. „So“, hat der Engel gesagt, „jetzt kann dich nicht nur ich sehen. Jetzt sehen dich auch alle, denen du etwas sagen willst. „Ich danke dir!“, sagte der Käfer, und der Engel erklärte ihm noch einmal ganz genau, was denn da geschehen ist, und verkündete auch ihm, dem kleinen Johanniskäfer, die frohe Botschaftt.
„Das“, hat der Johanniskäfer gesagt, „ müssen alle Tiere wissen. Ich werd’ mich gleich aufmachen und ihnen die frohe Botschaft bringen.“ So ist dieser kleine, leuchtende Käfer losgeflogen, ist geflogen und geflogen und geflogen. Am Weg ist er beim Bauernhof einem Hahn begegnet. Dem hat er gleich erzählt, was geschehen ist. Da krähte der Hahn: „Kiekerikie, kiekerikie, Christus ist hier!“ Das hat der Hund gehört und der hat gefragt: „Wou, wou, wou, wou, wou, wou?“ Die Ziege, die ganz genau zugehört hatte, meckerte: „In Bäthlähäm, in Bäthlähäm!“ Und ein kleines Lämmchen, das hat noch hinzugefügt: „Määcht auch hingäh’n, määcht’ auch hingäh’n!“ Der Esel aber, der sagte nur knapp: „I ah, i ah, i ah!“
Die Henne wiederum, die reckte den Hals und die machte sich schleunigst auf den Weg, und auch den anderen Tieren hat sie gedeutet, sie sollen gleich mitkommen: „Geht nur gleich hin, geht nur gleich hin, geht nur gleich hin, geht nur gleich hin!“, so hat sie gegackert. Ein Tier hat es dem anderen zugerufen, und bald wusste es die ganze Tierwelt: Christus, der Heiland der Welt, ist geboren.
Der kleine Käfer ist wieder zurückgeflogen zum Stall, hin zur Gottesmutter, und hat das göttliche Kind betrachtet. Die Gottesmutter aber hat ihn gesehen, den kleinen Käfer, wie er da fliegt und wie er da leuchtet. „Ach“, hat sie gesagt, „bist du ein liebes Glühwürmchen, ein Leuchtkäfer – so einen hab’ ich noch nie gesehen.“
Da ist dem kleinen Johanniskäfer das Herz aufgegangen, und seit dieser Zeit heißt der Johanniskäfer auch Glühwürmchen oder eben einfach Leuchtkäfer. Die anderen Tiere, die haben sich nach und nach bei der Krippe eingestellt. Und zum Dank dafür, dass sie sich gleich auf den Weg gemacht haben zur Krippe und zum göttlichen Kind, ist ihnen von dieser Stunde an die Gabe geblieben, dass sie sich in der Christnacht miteinander unterhalten können, so wie wir Menschen.
Und wer es nicht glauben will, der muss in der Mettennacht, wenn die Glocken läuten, nur horchen – aber ganz genau. Denn wenn dann die Tiere ungestört sind, dann reden sie miteinander, und das, was sie sich zu sagen haben, so heißt es, ist wirklich kaum zu glauben.
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Wer die Geschichte gerne erzählt bekommen möchte:
Hier ist der QR-Code aus den OÖN. Einfach das Smartphone mit der Kamera draufhalten, Cookie der OÖN akzeptieren – und schon wird die Geschichte erzählt: