Weil das Wünschen immer noch hilft!

Weil das Wünschen immer noch hilft!

6. März 2019 0 Von Helmut Wittmann

Das »Märchenforum« der Märchenstiftung Mutabor ist DIE Märchenzeitschrift im deutschen Sprachraum. Die neueste Ausgabe widmet sich dem Wünschen – im Märchen wie im wirklichen Leben. Es war mir eine Freude und Ehre dazu ein Plädoyer für das Wünschen beim Erzählen zu schreiben:

Es gibt Erzählerinnen und Erzähler, die beginnen ihre Geschichten mit »Zu Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat …«. Das macht mich fassungslos. Nein, so eine Dummheit sollte Erzählenden nicht passieren. Da tut man den Zuhörerinnen und Zuhörern wirklich Schlimmes an.

Warum?

 

Es spricht nichts, aber auch wirklich nichts dagegen, dass das Wünschen nicht immer noch hilft! Ja, das Märchen schreit es wörtlich aus allen Geschichten. Es ist eine Schule des Wünschens. Wer also einleitend den Wünschen ihre Kraft abspricht sagt sinngemäß: »Ich erzähle dir jetzt ein paar nette Geschichten, aber sie werden dir nicht helfen. Ich selber glaube auch nicht dran!«

Na bumm! Wer will das hören!? – Mal abgesehen davon, dass es auch nicht stimmt.

 

Wünsche sind Triebfedern unseres Lebens.  Und selbst die Sehnsucht wunschlos zu sein ist – eben – ein Wunsch. Ganze Industrien, wie die Werbung, leben davon uns Wünsche mehr oder weniger raffiniert aufzudrängen. Andere wiederum arbeiten daran diese Wünsche zu erfüllen.

Alltäglich sind wir einem Bombardement von Wunschvorstellungen ausgesetzt: Du wünscht dir schön zu sein? – Kauf dir dieses Gewand und du bist es. – Du wünscht dir etwas zu gelten? – Mit diesem Auto gelingt dir das sicher. – Du wünscht dir als liebenswerter Mensch zu erscheinen? – Wenn du anderen diese Schokolade schenkst kommst du genau so rüber.

Wer im Leben nicht ganz an der Oberfläche schwimmt, durchschaut diese Wünsche und ihre Erfüllung sofort als vordergründig und seicht. Wirklich »gute« Werbung arbeitet sehr viel subtiler und mit unbewussten Sehnsüchten. Aber das macht das Ganze ja nur schlimmer.

 

Ganz anders – nämlich heilsam – wirkt das Märchen. Es geht anschaulich und in klaren Bildern auf die wesentlichen Herausforderungen des Lebens ein. Diese archetypischen Bilder wirken nicht nur auf den Verstand. Sie gehen auch zu Herzen.

Vor allem aber zeigt das Märchen wie man richtig wünscht. Denn das Wünschen kann helfen aber auch ins Verderben führen. Es ist ein mächtiges Werkzeug des Schicksals, mit dem umzugehen gelernt sein will.

 

Ein Motiv taucht dabei immer wieder auf:

Da sind drei Schwestern, die laut über ihre Zukunft nachdenken. Zum Beispiel im österreichischen Märchen »Von redenden Vogel, vom singenden Baum und vom goldenen Wasser« [*]

 

Die Älteste träumt davon den Gärtner des Königs zu heiraten.  Die Mittlere wünscht sich den Bäcker des Königs zu ehelichen. Die Jüngste will mit dem, was sie sich erträumt, zuerst nicht herausrücken. Erst als ihre Schwestern sie immer und immer wieder bedrängen spricht sie es aus: Sie wünscht sich den König zu heiraten! – Das kostet die Schwestern freilich nur einen Lacher. Wie kann man so dumm sein, sich etwas zu wünschen das ganz und gar unmöglich ist – den König zum Mann!

 

Der König freilich ist nicht weit. Er hat sich auf der Jagd zum Haus der drei Schwestern verirrt und sie belauscht. Die Jüngste gefällt ihm. So findet bald darauf eins – nein, eine – zum anderen. Die Älteste heiratet den königlichen Gärtner, die Mittlere den Bäcker und die Jüngste den König selbst.

Alle haben bekommen was sie sich gewünscht haben, und haben damit auch allen Grund glücklich zu sein – möchte man meinen.

Denn die älteren Zwei beneiden die Jüngste um den König. Der wäre ihnen ja eigentlich doch viel lieber als »nur« der Gärtner oder der Bäcker. Sie unternehmen alles um die Jüngste beim König schlecht zu machen. Unter dem Vorwand, ihr bei der Entbindung zu helfen, tauschen sie gar ihre neugeborenen Kinder gegen einen Hund, eine Katze und schließlich noch gegen ein Holzscheit aus. Sie bringen sie also um die Frucht ihrer Zweisamkeit.

Natürlich zeigt das Märchen Mittel und Wege das Ganze doch noch zu einem glücklichen Ende zu führen.

 

Für uns ist hier aber wesentlich, dass das Märchen am Beispiel der zwei älteren Schwestern vorführt wie leicht man sich »verwünschen« kann. Am Beispiel der Jüngsten zeigt es dann, wie man es richtig macht.

 

Noch klarer führen das alles die klassischen Wunschmärchen vor Augen. Da kommt einer im Märchen »Unter dem Wunschbaum« ganz unverhofft in die Lage, dass alle seine Wünsche sofort erfüllt werden. Es geht ihm wie einem Führerscheinneuling in einem Formel-1-Boliden. Ein kleiner Fehler – und das vermeintliche Glück kostet das Leben.

In den verschiedensten Weltgegenden taucht das Märchen »Von den drei Wünschen« auf. Eine Fee ist bereit einem Bauern drei Wünsche zu erfüllen. Der Bauer ist selig vor Glück. Er ist sich bewusst, dass das seine große Chance für ein besseres Leben ist – und verjuxt sie vor lauter Aufregung.

Richtig wünschen braucht offenbar ruhig Blut und einen klaren Geist.

Den hat der Bauer, der im Märchen »Vom Feenwunsch«. Er bekommt nur einen einzigen Wunsch freigestellt. Drum verordnet er sich zu allererst eine Nachdenkpause und bittet die Fee darum ihm eine Frist zu gewähren. So ein Wunsch will gut überlegt sein: Zu seinem Glück! – Zwar treiben ihn Frau und Mutter fast in den Wahnsinn, und doch macht er intuitiv alles richtig. Er »überschläft« das Ganze und findet danach genau die richtigen Worte.

 

Besonders charmant wird die Kunst des Wünschens im Märchen »Vom Glücksvogel«[2] vor Augen geführt. Der Glücksvogel will der Familie, bei der er lange Jahre war, noch einen Wunsch erfüllen bevor er fortfliegt. Der Familienälteste holt drauf den Rat aller ein. Es gibt ein Hin und Her was man sich wünschen sollte. Eine Einigung scheint kaum möglich. Doch siehe da: Die jüngste Schwiegertochter hat die grandiose Idee für den besten aller Wünsche.

 

Bei all diesen verschiedenen Erzählungen wird die magische Gesetzmäßigkeit des Wünschens zwischen den Zeilen anschaulich verdeutlicht:

  1. Überlege genau was du dir wünscht. Wünsche nicht leichtfertig. Vor allem aber bedenke die Folgen. Was passiert, wenn dein Wunsch Wirklichkeit wird? Macht dich seine Erfüllung auch wirklich glücklich?
  2. Gib dich in wesentlichen Dingen nicht mit Kompromissen zufrieden. Getrau dich genau das zu wünschen, was du wirklich willst.
  3. So unmöglich der Wunsch auch scheinen mag: Was du dir aus ganzem Herzen wünscht neigt dazu Wirklichkeit zu werden.

 

Bei all der Information und Werbung, die alltäglich auf uns einprasseln, ist es alles andere als einfach sich nicht zu verwünschen. Das Märchen ist in dieser Flut an Information eine hilfreiche Boje.

Eben weil das Wünschen immer noch wirkt, gibt das Märchen Orientierung und regt dazu an Klarheit über die ureigensten Wünsche zu gewinnen.

In einer verwunschenen Welt wie der unseren ist das schon sehr sehr viel.

 

Der Beitrag, die Märchen dazu und vieles mehr ist nachzulesen im aktuellen Ausgabe vom »Märchenforum«. Ein Probexemplar gibt‘s – so lange der Vorrat reicht – beim ORF Kundenservice unter Tel. +43-732-666 95 2.

 

 

[*] nachzulesen in »Das grosse Buch der österreichischen Volksmärchen«, Helmut Wittmann, Ibera Verlag, 2005, aber auch »Österreichs Märchenschatz«, Karl Haiding, Pro Domo Verlag, Wien, 1953, sowie motivgleich als »De drei Vügelkens« (KHM 96) in den »Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm« und die »Geschichte der beiden Schwestern, die ihre jüngste Schwester beneideten« in den Erzählungen aus »Tausendundeine Nacht«.

[2] Nachzulesen in der gleichnamigen Sammlung »Wo der Glücksvogel singt«, Ibera Verlag, Wien