Die Jungfrau im Schloss mit dem goldenen Dachl wohnt in Mikulov!
Dass ein Märchen einem bestimmten Ort zugeordnet werden kann ist selten, sehr selten. Anders beim Zaubermärchen »Von der Jungfrau im Schloss mit dem goldenen Dachl«. Das ist nicht nur eine faszinierende Geschichte. Die kann geographisch auch ganz genau zugeordnet werden. Theodor Vernaleken hat sie um 1860 in Nikolsburg in Mähren gehört. Er schreibt dazu einleitend: »Ich ließ mir … auch Märchen erzählen und schrieb sie getreu auf, wie sie im Munde des Volkes leben, …«.
Und speziell dieses Zaubermärchen hat es in sich. Da sind – wie so oft – drei Brüder. Alle drei Brüder haben Namen, die für das Märchen ganz und gar untypisch sind:
Beginnend beim Ältesten, Christoph, dann der Mittlere, Philipp, und schließlich der Jüngste – Gottschalk. Gottschalk, der göttliche Schalk! In keinem anderen – mir vertrauten – Märchen kommt dieser Name vor.
Vielleicht hat das aber auch mit der Geschichte von Nikolsburg zu tun. Nikolsburg heißt heute Mikulov, denn es liegt in Tschechien. Zum österreichischen Grenzort Drasenhofen sind es gerade einmal 7 km.
Markant und unübersehbar – der Heilige Berg. Er ragt über Nikolsburg auf. Von oben ist der Ausblick auf die Stadt und die Ebene rundum beeindruckend. In vorchristlicher Zeit war das ein kultischer Tanzplatz. Darauf weist auch sein überlieferter deutscher Name hin. Bis 1942 wurde er »Tanzberg« genannt.
Heute steht oben die Kirche St. Sebastian, einige Kapellen und ein Hl. Grab. Offen ist die Kirche nicht. Auch die Kapellen sind alles andere als einladend. Die landschaftliche Pracht ist ein scharfer Kontrast zum Kreuzweg der im 18. Jahrhundert angelegt wurde. Menschliches Leid war den neuen Herren wohl eher willkommen als Tanzlust vor der Weite des Horizonts.
Aber zurück zu Gottschalk. Der Schalk hat Gott in Nikolsburg / Mikulov wohl immer wieder einmal gepackt. Erstaunlich, was sich hier durch die Jahrhunderte an unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Strömungen alles abgespielt hat.
Besiedelt wurde die Gegend im 11. Jahrhundert durch Siedlerinnen und Siedler aus Österreich und dem süddeutschen Raum. Deshalb wurde hier bis 1945 eine bayerisch-österreichische Mundart gesprochen.
Im 16. Jahrhundert blühte in Nikolsburg die Täufer-Bewegung auf. Die Täufer bestanden und bestehen auf der wörtlichen Auslegung des Evangeliums. Nichts zählt für sie mehr als das Wort Gottes, so wie es in der Bibel geschrieben steht. Die Kirche ist für die Täufer eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern – ohne Klerus und Hierarchie. Kindstaufe hat da keinen Platz und Glaubensfreiheit einen hohen Wert. Getauft werden nur Erwachsene. Kirche und Staat sind sauber getrennt. Klingt sehr modern – und war es damals noch viel mehr als heute, wo die Trennung von Kirche und Staat noch längst nicht vollzogen ist.
Die Täufer wurden hingerichtet und vertrieben. Aber ihre Gedanken blieben – zumindest in den Hinterköpfen.
Später kam in Nikolsburg – gefördert durch den Adel – die Reformation mit den Gedanken Martin Luthers auf. Die katholische Reaktion darauf war die Gegenreformation. Es waren die Jesuiten, die die Menschen in Nikolsburg wieder katholisch machten. Zumindest die Kirchen wurden wieder katholisch geweiht. Später suchten die Türken nicht nur Wien heim, sondern zogen – meist plündernd – weitum durch das Land. Auch das hinterließ in Nikolsburg und dem Umland Spuren.
Andere – die in Wien vertrieben worden waren – fanden hier eine neue Heimat: die Juden. Herzog Albrecht V. vertrieb sie aus Wien und Niederösterreich. Nikolsburg blühte mit ihnen auf – bis die Katastrophe des 2. Weltkriegs kam. Die jüdische Gemeinde ging im Holocaust unter. Die deutschsprachigen Nikolsburger wurden nach dem Ende des 2. Weltkriegs vertrieben. Der Eiserne Vorhang trennte danach wie ein Sperrgitter Länder und Menschen. Inzwischen ist auch er – Gott sei Dank – wieder Geschichte.
Aber aus all diesen ganz unterschiedlichen Strömungen und Geisteshaltungen entstand wohl das Umfeld für besondere Geschichten, wie die »Von der Prinzessin im Schloss mit dem goldenen Dachl«.
Noch einmal zurück zu den drei Brüdern – Christoph, Philipp und Gottschalk.
Keiner von den Dreien will das väterliche Erbe aus freien Stücken angehen. Erst als sie der Vater bei der Ehre packt »Wer die schönste Braut heimbringt, der bekommt den Hof!« werden sie munter. Selbst der Jüngste kommt hinter dem Ofen hervor. Allein, dass er es wagt sich mit ihnen messen zu wollen, ist für die Älteren zwei eine Beleidigung. Das lassen sie den Jüngsten auch spüren. Aber dass hält Gottschalk nicht davon ab sein Glück auch zu versuchen. Dabei ist er sich der Aussichtslosigkeit seines Vorhabens durchaus bewusst. Immerhin, den Versuch ist es ihm wert. Auf den Weg nimmt er nur das Nötigste mit – Schwarzbrot, Ziegenkäse und das Sonntagsgewand.
Tief drin im Wald begegnet ihm ein Zwerg. Der bittet ihn mitessen zu dürfen. Gottschalk ist selbstbewußt. Das heißt, er ist sich selbst bewußt, dass er nicht viel zu bieten hat. »Ja«, meint er, »iß halt mit, wenn‘s dir nicht zu schlecht ist.«
Zu schlecht ist es dem Zwerg wohl nicht. Schnell zeigt sich, dass der Zwerg für das, was er bekommt, noch viel mehr zu geben hat.
Er bringt nicht nur die Haare von Gottschalk auf Vordermann und kämmt ihm symbolisch die Flausen aus. Gottschalks goldene Locken stehen für gedankliches Gold. Bildhaft gesprochen weckt der Zwerg das kreative schöpferische Denken von Gottschalk und lenkt es in eine Richtung. Ja, er zeigt ihm sogar einen Weg.
So findet Gottschalk zur Frau die sein Herz zum Klingen bringt. Eins kommt zum Anderen. Bei der Hochzeit – also der Vereinigung von Weiblichem und Männlichem – sind die elementaren Wirkkräfte geladen und kommen alle in »Freundschaft« – sogar der Tod und die Tödin.
Was kann man sich mehr wünschen!
Aber – wie heisst es so schön in der überlieferten Fassung dieses Zaubermärchens: Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen!
Alle acht Tage verschwindet die Frau in einer Kammer. Das läßt dem Mann keine Ruhe. Was macht sie da?
Auf seine Nachfrage wiegelt sie ab. Natürlich entfacht dieses Verhalten die schon vorhandene Neugier nur umso mehr. Es kommt wie es kommen muss:
Gottschalk hält die Ungewissheit nicht aus. Wenigstens einen Blick will er riskieren, um zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, was seine Frau denn da treibt.
So wird das Tabu gebrochen. Der eine Blick ist ein Blick zu viel. Er sieht das Tierische seiner Frau. Ja, er sieht es so wie er es noch nie gesehen hat. Wenigstens einmal alle acht Tage wollte seine Frau das auch ausleben – versteckt, geschützt, keinem fremden Blick ausgesetzt. Selbst vor ihrem Mann sollte ihr tierisches Wesen geheim und verborgen bleiben. Jetzt ist es offenkundig. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Was einmal erkannt ist kann nicht mehr vergessen werden.
Auch der hilflose Versuch das Geschehene mit einer Umarmung ungeschehen zu machen scheitert. Gottschalk findet sich in der Wildnis wieder.
Doch noch einmal taucht der Zwerg auf. Auch diesmal hat er einen hilfreichen, wenn auch vagen, Rat.
»Mach dich auf zur Sonne!«
Sonne! Schön und gut. Aber wo ist die Sonne?
Jetzt beginnt ein weiter Weg, der schier unmenschliche Geduld und Ausdauer abverlangt. Es ist eine Reise den elementaren Kräften, zu Tag und Nacht, zu Sonne und Mond. Erst der Wind als allesverbindende Kraft bringt schliesslich den erlösenden Hinweis. Aber selbst der Wind wird aufs Letzte gefordert.
Und wer leistet die entscheidende Hilfe!?
Kein strahlender Held. Nein, ein Buckliger! Einer, der als unansehnlich gilt, ein Verkrüppelter. Nur durch ihn kommt das, was eigentlich zusammengehört wieder zusammen.
Und jetzt ist auch das früher Verborgene geläutert. Als sich Mann und Frau, nach all dem was geschehen ist, gegenübertreten sind sie an den Herausforderungen gewachsen und gereift. Das Gemeinsame hat nun ein viel stärkeres Fundament als bei der Hochzeit. Die fand ja vergleichsweise aus Jux und Tollerei statt.
Der Weg zurück zum Vater rundet die Geschichte, wird aber fast zur Nebensache. Es ist eigentlich ein Triumphzug. Der Triumph des einfältigen Dummerlings mit den schlummernden Möglichkeiten, die jetzt alle erwacht sind. Ihm gegenüber die Brüder, die ihn beschränkten, und die ihn ihrer Überheblichkeit die eigenen Schranken aufbauten.
Der Triumph wird aber nicht ausgekostet. So banal das rüberkommen mag: Auch hier zeigt das Märchen menschliche Größe. Den älteren Brüdern bleibt das ihre. Das was ihnen vertraut, lieb und wert ist. Der Jüngste ist hier nicht mehr zuhause. Er hat inzwischen zu viel erlebt, um zu dem was war zurückzukehren. Für ihn tut sich eine weitere Welt auf. Schön, dass er den Vater auf diese Reise mitnimmt.
Im Grund ist dieses Zaubermärchen doch eine männliche Einweihungsgeschichte. Von der Mutter ist in der Überlieferung nie die Rede.
Zum Schluss heißt es so schön:
»Aus ist das Liedl, aus ist der Tanz,
Madl bring‘ Blumen, wind mir an Kranz.«
Womit wir wieder beim Tanz hoch droben auf der Kuppe vom Heiligen Berg sind – auf dem »Tanzberg«.
Für alle die neugierig geworden sind auf die eigentliche Geschichte:
Hier wird das Zaubermärchen erzählt – in oberösterreichischer Umgangssprache.
Wer es voll und ganz hören will, sollte sich dafür eine halbe Stunde Zeit nehmen: